ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT IM PATENTWESEN

von: Dr. Heiner Flocke, Bodenheim

Ein Patent erhebt nach der Präambel des Deutschen Patentamts u.a. den Anspruch, erbrachte Entwicklungsleistungen vor Produktpiraterie zu schützen. Das Patentwesen soll damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken und die Erfinder belohnen. Diese Vorgabe kann insbesondere die deutsche mittelständisch geprägte und innovative Industrie gutheißen. In der Praxis drohen aber die Grundsätze und Strukturen des Patentwesens ausgehebelt und instrumentalisiert zu werden, indem Schutzrechte firmenpolitisch eingesetzt werden und den technischen Fortschritt blockieren. In manchen Firmen ist heute die Rechtsabteilung innovativer als die Entwicklung.

Trends und Thesen

Neben Patentanwälten haben zunehmend auch Patentämter ein substanzielles Interesse an der Zahl der eingereichten Erfindungen, die zudem als Gradmesser für die Innovationskraft eines Landes hochstilisiert wurde. Aus einer gemeinsamen Interessenlage können sich dabei unbeabsichtigt Kartelle bilden: Ämter, Prüfer, Gutachter und Anwälte erhalten ein Szenarium, das die streitenden Firmen bezahlen.

Dr. Heiner Flocke

Mit der Zahl der Patente steigern selbstfinanzierte und stets personell überbelastete Patentstellen ihre Bedeutung und ihren Umsatz. Strengere Prüfungen auf die Erfindungshöhe und weitreichendere Recherchen nach dem Stand der Technik wären für diese Stellen kontraproduktiv und kostentreibend und vor dem Hintergrund der weltweiten Fachliteratur auch außerhalb von Patentbeschreibung praktisch nicht zu leisten. Im Ergebnis überlassen Patenterteilungen eine umfängliche Prüfung dann auch dem Markt in der Einspruchsfrist.
Wird diese Einspruchsfrist versäumt – und manchen Mittelständler erdrückt allein die Zahl der zu überwachenden Patente – schützen hohe Streitwerte selbst Trivialpatente vor einer Nichtigkeitsklage, für die als Richtwert sechsstellige Summen und gute Nerven sowie Zeit für ein Verfahren mit unsicherem Ausgang anzusetzen sind. Auf der anderen Seite sind Nichtigkeitsklagen auch ein Druckmittel und ein Risiko für Patentinhaber, insbesondere für schwache Streitpatente. Eine hohe Vernichtungsquote von 40 bis 70 % macht auch Verletzungsrichter nachdenklich, ein als Verwaltungsakt erteiltes Patent wie ein Gesetz zu behandeln. Die Aussage, dass jedes zweite erteilte Patent einer Überprüfung nicht standhält und damit nicht rechtssicher ist, bleibt unwidersprochen.

Ohne ausreichende Prüfung durch überlastete Patentämter passieren triviale Erfindungen die rein formellen Hürden zur Erteilung, die dann mit finanziellem Aufwand der Firmen sondiert, bewertet und bekämpft werden müssen. Nicht selten flattern dem selbstkritischen Erfindergeist Patentanmeldungen auf den Tisch, für die er selbst in Absprache mit seinem Patentanwalt keine Erfindungshöhe gesehen hatte und nun in Gefahr gerät, auch noch Lizenzen erwirken zu müssen.

In diesem Umfeld verkommt das Patentwesen zum firmenpolitischen Mittel insbesondere von Monopolisten mit der notwendigen Marktmacht und Finanzkraft. Man beschäftigt dabei Mitarbeiter beim Wettbewerb durch eine Unzahl von Anmeldungen (Patentdickicht), verunsichert mit drohenden Prozesskosten und setzt auf die lückenhafte Patentbeobachtung des Mittelstands.

Früher konnte man sich auf das Prüfungsniveau des Patentamtes verlassen, das in seinen Recherchen nur die wirklichen Innovationen passieren ließ. In gleicher Weise wurde man von seinem Patentanwalt für eigene Anmeldungen beraten.

Das bestehende Potenzial zum Missbrauch des Patentwesens verlangt ein Umdenken. Firmen setzen Vielanmelder auf die Beobachtungsliste, frustrierte Entwicklungsleiter und Geschäftsführer lesen am Feierabend Patenttexte, die noch dazu möglichst unverständlich und kompliziert geschrieben sind. Dies dient dem zweifelhaften Zweck der Verunsicherung, dass letztlich alles erst mit einer späten und teuren, höchst richterlichen Entscheidung gelöst wird. Mangelnde Klarheit nützt nur dem Stärksten, der ein Verfahren durchstehen kann. Diese Strukturen und deren Ausnutzung stärken Monopole und bedrohen den innovativen Mittelstand und damit letztlich den Industriestandort.

Inzwischen wurde die Kritik und einige der Forderungen des Patentvereins, insbesondere zum Trennungsprinzip der Rechtsprechung in Deutschland (Stichworte „Infringed but invalid“, „Injunction Gap“), politisch diskutiert und noch im Jahr 2021 im Patentmodernisierungsgesetz 2.PatMoG berücksichtigt. Man hat das Problem erkannt und der Gesetzgeber will eine bessere Verzahnung und Synchronisation der Gerichte dadurch erreichen, dass das Patentgericht einen qualifizierten Hinweis zur Validität eines Streitpatents innerhalb von sechs Monaten gibt. Der Patentverein wird diese Vorgabe in der Praxis und in der Berücksichtigung durch die Verletzungsgerichte verfolgen. Zumindest erwarten wir, dass die Aussetzung im Verletzungsverfahren einen höheren Stellenwert erhält. Sich zur Umsetzung unserer Initiative für einen Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2011 zur Aussetzung als Regelfall für einen vorläufigen Rechtsschutz des Beklagten starkzumachen, reichte der politische Wille noch nicht aus.

Der Patentverein als Selbsthilfe der Industrie

Die Industrie kann nicht auf politische Einsicht warten und auf die Rückbesinnung eines früheren Prüfungsniveaus hoffen. Jeder Marktteilnehmer profitiert letztlich auch von seinem Wettbewerb auf einem insgesamt höheren Industrieniveau. Dazu tragen insbesondere echte, d.h. innovative Erfindungen bei.

Eine Ignorierung der hier beklagten Entwicklung wäre fahrlässig; eine bei jedem Marktteilnehmer unterhaltene Patentbeobachtung ist zu aufwändig sowie ineffektiv und wird zu Recht von den Entwicklungsabteilungen als lästig empfunden. Die Gründung des Patentvereins als Fachverband, der die Informationen und Fakten sondiert, sortiert und bereitstellt sowie Patente und den zugehörigen Rechtsstand beobachtet und bewertet, war ein folgerichtiger Schritt.

Der patentverein.de e.V. arbeitet in diesem Sinne als Selbsthilfeorganisation der Industrie und unterstützt mit seiner Filterfunktion das Patentwesen, seinem Anspruch gerecht zu werden. Dabei wird die Zusammenarbeit mit den Patentämtern, der Justiz, den politischen Akteuren und den Medien gesucht.